Leukämieforschung in Hannover

Unterstützte Forschung

Leukämieforschung in Hannover

In Deutschland werden nahezu alle Kinder und Jugendlichen mit einer Krebserkrankung in so genannten Therapieoptimierungsstudien behandelt. Dieses sind klinische Studien, die das Ziel haben, die Patienten nach dem jeweils aktuellsten Wissensstand zu behandeln und gleichzeitig die Therapie kontinuierlich zu verbessern.


Therapieoptimierungsstudien von Kinderkrebserkrankungen und die mit ihnen verbundene Forschung haben in den letzten 50 Jahren zu einem stetigen Anstieg erfolgreich behandelter Patienten geführt.

Noch in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren waren die Behandlungsmöglichkeiten für viele Kinderkrebserkrankungen sehr begrenzt – die meisten Patienten starben. 


Heute überleben mehr als zwei Drittel der Patienten ihre Erkrankung dauerhaft. Therapieoptimierungsstudien sind damit eine der wahren Erfolgsgeschichten in der Historie der Krebsbehandlung. Der Erfolg kann jedoch nicht vergessen lassen, dass weiterhin ein signifikanter Anteil der Patienten nicht erfolgreich behandelbar ist. Heilung für alle Kinderkrebspatienten möglich zu machen, ist Anliegen und Hoffnung aller in diesem Bereich engagierten Personen.


Die Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie der Medizinischen Hochschule Hannover ist eines der größten deutschen spezialisierten Kinder- und Jugendkrebszentren. Die Forschung der Klinik widmet sich hauptsächlich den Leukämien im Kindes- und Jugendalter und findet in enger Verzahnung mit der ALL-BFM-Studiengruppe in Kiel statt (Prof. Dr. Gunnar Cario; Prof. Dr. Martin Schrappe). Die bestehende Situation der engen Verzahnung von Hannover und Kiel erlaubt es, in idealer Weise klinisch-wissenschaftliche Fragestellungen zu bearbeiten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verbesserungen der Therapie von Leukämien im Kindes- und Jugendalter beitragen können. Dazu gehören sowohl Forschungsansätze zur Verbesserung der Effektivität der Leukämiebehandlung als auch solche zur Verminderung von gefährlichen Therapienebenwirkungen. Ebenso werden Fragestellungen verfolgt, die darauf abzielen, zu verstehen, warum Leukämien entstehen. 


Die Madeleine Schickedanz-Kinderkrebs-Stiftung ist seit ihrer Gründung eng mit der ALL-BFM-Studiengruppe verbunden und hat in diesem Rahmen die Leukämieforschung in verschiedensten Projekten maßgeblich unterstützt. Einige ausgewählte Projekte, die in den letzten fünf Jahren umgesetzt wurden, sollen nachfolgend einen kleinen Einblick in das Engagement der Stiftung erlauben.


  • Gibt es Faktoren mit denen die heutige Behandlung der ALL effizienter gemacht werden kann?

    Die ALL ist eine Krebserkrankung des Knochenmarks – dem Gewebe im menschlichen Körper, das die Blutzellen bildet. Erkrankt ein Patient an ALL, kommt es zur unkontrollierten Vermehrung unreifer weißer Blutzellen, die ohne Therapie rasch zum Tod führt. Behandelt wird die ALL in der Regel mittels einer zweijährigen Chemotherapie, die sich in vier essentielle Phasen gliedert: 

    1) die Induktionstherapie, die darauf abzielt im Zeitraum von etwa vier Wochen die Leukämie komplett unter die mikroskopische Nachweisgrenze im Knochenmark zurückzudrängen; 

    2) Konsolidierungs- bzw. Intensivierungselemente, die durch Behandlung mit weiteren Chemotherapeutika den Erfolg der Induktionstherapie festigen sollen; 

    3) die Behandlung von Leukämiezellen in Gehirn und Rückenmark, also im zentralen Nervensystem (ZNS), mittels einer ZNS-gerichteten Therapie; und 

    4) der sogenannten Dauer- oder Erhaltungstherapie, bei der durch eine langgestreckte und weniger intensive Verabreichung von Chemotherapeutika nach der intensiven Anfangstherapie noch im Körper verbliebene Leukämiezellen abgetötet werden sollen. In kleinen Patientengruppen werden zur Erhöhung der Chancen auf einen erfolgreichen Therapieabschluss die vier Therapiephasen durch eine Schädelbestrahlung oder auch eine Knochenmarktransplantation ergänzt.


    Ein Großteil der im Rahmen der ALL-Therapie eingesetzten Medikamente hat seine behördliche Zulassung bereits in den 1950er oder 1960er Jahren erhalten. Trotz zum Großteil gleichbleibender Präparate, konnte seit Ende der 1960er Jahre ein stetiger Anstieg des Überlebens in den seit dieser Zeit durchgeführten Therapieoptimierungsstudien verzeichnet werden. Mit heutigen Behandlungsprotokollen können über 85% der ALL-Patienten dauerhaft geheilt werden. Der in den letzten 20 Jahren erreichte Anstieg des Überlebens beruht dabei insbesondere auf einer Anpassung der Therapieintensität an das Rückfallrisiko eines Patienten, was durch die Erfassung prognostischer Faktoren erfolgt.


    Prognostischen Faktoren sind zum einen verschiedene Eigenschaften von Leukämiezellen, wie beispielsweise das Vorhandensein bestimmter genetischer Veränderungen in den Leukämiezellen oder ein ZNS-Befall der Leukämie, zum anderen aber auch Wirtsfaktoren. Wirtsfaktoren sind Charakteristika des Patienten, die nicht direkt mit der Leukämie zusammenhängen – wie etwa das Geschlecht des Patienten oder bestimmte ererbte Eigenschaften, die die Verstoffwechslung von Medikamenten beeinflussen. Patienten mit einem ungünstigen Profil an prognostischen Faktoren bekommen eine besonders intensive Therapie, während solche mit günstigen prognostischen Faktoren eine mildere Therapie erhalten und somit auch weniger häufig gefährlichen Therapienebenwirkungen ausgesetzt sind.


    Ein Schwerpunkt der kooperativen Forschungsarbeiten in Hannover und Kiel ist die Suche nach neuen prognostischen Faktoren, mit denen die Risikoanpassung der Behandlung weiter verfeinert werden kann. Diese Arbeiten konzentrieren sich sowohl auf Eigenschaften der Leukämiezelle als auch auf Merkmale des Patienten, also auf Wirtsfaktoren. Diesbezüglich werden aufwändige Untersuchungen durchgeführt, bei denen teilweise auch das gesamte Erbgut analysiert wird. 


    Mehrere Ergebnisse dieser Forschungsaktivitäten haben es in die klinische Praxis geschafft – nicht nur auf lokaler, sondern auf globaler Ebene. Ein Beispiel ist die Entwicklung eines neuen Risikomerkmals für die ALL, das aktuell in der Praxis genutzt wird, um die Intensität der Behandlung zu steuern. Dieses Merkmal heißt “Ikaros plus“ und birgt – bei positivem Test – ein sehr hohes Rückfallrisiko (mehr als 50%). Der Test fällt nur bei 5% der Patienten positiv aus, sagt aber ein Viertel aller Rückfälle voraus. Wenn Ikaros plus bei einem Patienten nachweisbar ist, wird eine intensive Hochrisikobehandlung durchgeführt und eine frühe Immuntherapie randomisiert getestet. Das Ikaros plus-Muster ist derzeit der stärkste breit anwendbare Test zur Vorhersage eines Rückfalls der ALL und hat sich zu einem diagnostischen Standard in der größten europäischen klinischen Studie zur Behandlung der pädiatrischen ALL entwickelt, an der jährlich etwa 1000 Patienten teilnehmen.


    Ein weiteres früheres Beispiel für die Übertragung biologischer Forschung in die klinische Anwendung stammt aus einer Studie zur Entschlüsselung des Genoms eines bislang unheilbaren, sehr seltenen Subtyps von ALL – der sogenannten TCF3-HLF-rearrangierten ALL. Das Zusammenspiel zwischen der fehlerhaften Fusion von TCF3 und HLF löst eine bisher unterschätzte Umprogrammierung der Leukämiezellen auf ein sehr frühes, stammzellähnliches Entwicklungsstadium aus – eine Art „Wolf im Schafspelz“. In diesem großen kooperativen Projekt mehrerer universitärer Zentren in Deutschland und der Schweiz wurden auch neue Behandlungsoptionen mit Anti-Apoptose-Medikamenten identifiziert, die derzeit klinisch evaluiert werden.


    Größte Herausforderung für die nächsten zehn Jahre in der ALL-Forschung bleiben weiterhin: 

    1) Verfeinerung der ALL-Diagnostik und der Risikoklassifizierung und 

    2) eine präzisere Anpassung therapeutischer Ansätze unter Berücksichtigung der Leukämiebiologie und der Wirtsfaktoren der Patienten.


  • Wie lässt sich verlässlicher feststellen, ob Patienten ein hohes Risiko für schwere Therapienebenwirkungen haben und welche genetischen Faktoren tragen zur Entstehung einer ALL im Kindes- oder Jugendalter bei?

    Ein wichtiges Ziel der Forschung in der pädiatrischen Hämatologie und Onkologie ist die Ausweitung der Aktivitäten in der translationalen Forschung hin zu einem besseren Verständnis unerwünschter Nebenwirkungen der ALL-Behandlung. 


    In diesem Feld arbeiten wir vorrangig daran herauszufinden, warum manche Patienten unter Chemotherapie schwere Nebenwirkungen an der Leber oder Bauchspeicheldrüse erleiden. Weiterhin interessiert uns, welche Patienten ein hohes Risiko für schwerwiegende Infektionserkrankungen unter Therapie besitzen. Das übergeordnete Ziel dieser Arbeiten ist in Zukunft risikobehaftete Patienten früh erkennen zu können, sie angepasst zu behandeln und somit schwere Nebenwirkungen zu reduzieren.     

    Ein Beispiel für ein solches Forschungsprojekt stellt unsere Arbeit zur Lebertoxizität des Thiopurinmedikaments 6-Thioguanin in der Therapie der ALL dar. Die Thiopurine 6-Mercaptopurin (6-MP) und 6-Thioguanin (6-TG) spielen eine wesentliche Rolle in der Behandlung der ALL. Publizierte randomisierte kontrollierte Studien, in denen Wirksamkeit und Toxizität von 6-MP mit 6-TG in der Zwischenerhaltungs- und Erhaltungstherapie der pädiatrischen ALL verglichen wurden, zeigten dosisabhängig hohe Raten (>10%) schwerer hepatotoxischer Nebenwirkungen. Diese Nebenwirkungen wiesen in aller Regel Merkmale eines hepatischen sinusoidalen Obstruktionssyndroms (SOS) auf und waren mit einer langfristigen therapeutischen Applikation von 6-TG verbunden. Die Beobachtung von hepatischen SOS im Zusammenhang mit längerfristiger 6-TG-Applikation führte dazu, das aktuell nur noch das Thiopurin 6-MP für diese Zwecke eingesetzt wird. Hepatische SOS in Verbindung mit einer kurzfristigen Exposition gegenüber 6-TG – wie sie weltweit noch immer Bestandteil fast aller Therapieprotokolle ist – wurden zwar vereinzelt beschrieben, der Zusammenhang aber bisher nicht systematisch untersucht und entsprechend charakterisiert. Wir haben in unseren nun fertiggestellten Analysen mehr als 5500 Patienten mit pädiatrischer ALL aus zwei aufeinander folgenden großen klinischen Studien untersucht - AIEOP-BFM ALL 2000 und 2009. Dabei konnten wir zeigen, dass das hepatische SOS eindrücklich mit der Kurzzeitapplikation von 6-TG in den späten Intensivierungselementen der Therapieprotokolle verbunden war. Das Risiko ein hepatisches SOS zu entwickeln war insbesondere für Patienten mit TPMT-Genotypen, die eine geringere Enzymaktivität vermitteln, deutlich erhöht. Zukünftige Studien könnten nun untersuchen, ob der Ersatz von 6-TG durch 6-MP - zumindest bei Patienten mit geringer TPMT-Aktivität - eine wirksame Maßnahme zur Verringerung der Inzidenz hepatischer SOS sein könnte. Wir planen dieses in unserer aktuell in Planung befindlichen Therapiestudie AIEOP-BFM ALL 2025 zu adressieren. 

    Weitere Beispiele zur Forschung in diesem Gebiet sind genomweite Assoziationsstudien zur akuten Bauchspeicheldrüsenentzündung als Nebenwirkung der ALL-Therapie oder zur durch die Chemotherapie induzierten Gelbsucht (Hyperbilirubinämie). Auch waren wir an mehreren genomweiten Assoziationsstudien beteiligt, die Risikoorte im Erbgut identifiziert haben, deren Vorliegen die Wahrscheinlichkeit an einer ALL im Kindes- oder Jugendalter zu erkranken erhöhen kann. 


  • Wie unterstützt die MSKKS junge Wissenschaftler, um auch in Zukunft exzellente Kinderkrebsforschung in Deutschland sicherzustellen?

    Das Madeleine Schickedanz-Programm zur Förderung von "Exzellenz in der Nachwuchsforschung im Bereich der pädiatrischen Hämatologie und Onkologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MSPFE – Päd Häm Onk)" ist ein innovatives Instrument, dass es besonders forschungsstarken jungen Wissenschatler*innen ermöglichen soll, sich schon sehr früh über einen längeren Zeitraum ganz auf Forschungsfragen im Bereich Kinderkrebserkrankungen konzentrieren zu können und sich im internationalen wissenschaftlichen Feld zu etablieren. Begleitendes individuelles Mentoring sichert hierbei eine umfassende Wissensvermittlung und Kontakte zu internationalen Experten. Wissenschaftlich hochtalentierten jungen Forscher*innen soll mit dem Programm ein optimales Umfeld zur Vertiefung ihrer Forschungsarbeit und zum Einstieg in einen erfolgreichen Berufsweg in der Pädiatrischen Hämatologie und Onkologie ermöglicht werden. 


    Die erste im Rahmen dieses Programms unterstützte Forscher*in ist Frau Dr. med. Laura Hinze, die mittlerweile eine erfolgreiche eigene Arbeitsgruppe leitet.  https://www.mhh.de/kinderonkologie/forschung-und-lehre/arbeitsgruppen/ag-hinze




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